Eine Praxis geht auf Reisen
Zahnarzt Siegfried Ziegler spendet sein gesamtes Inventar – Kinder in der Ukraine werden damit kostenlos behandelt
Quelle: Schwäbische Zeitung vom 08.08.2017, von Marlene Gempp
Zwei Zahnarztstühle, zwei Röntgengeräte, Desinfektionsgeräte, unzählige Scheren, Pinzetten und Bohrer sowie ein gesamtes Wartezimmer, ein Empfangstisch und Waschbecken – das alles hat sich noch vor knapp einem Monat in der Zahnarztpraxis von Siegfried und Doris Ziegler in Wangen im Allgäu befunden. Jetzt sind die Räume wie leer gefegt. Das komplette Inventar ist in die Ukraine gereist, denn die Zieglers haben ihre gesamte Praxis an die Kinderhilfsorganisation „Hope – we help children“ gespendet.
Zahnarzt Siegfried Ziegler
Anderthalb Jahre lang haben die Zieglers eine Nachfolge für ihre Zahnarztpraxis gesucht, denn Siegfried Ziegler wird bald 66 und geht in den Ruhestand. Doch als „Einzelkämpfer“ habe man es als Zahnarzt nicht mehr so leicht, sagt Ziegler. Die meisten jungen Zahnärzte würden heute lieber in einer Gemeinschaftspraxis mit zwei oder drei Ärzten arbeiten. Nach der erfolglosen Suche kam schließlich sein Sohn auf die entscheidende Idee. Er entdeckte die Wangener Organisation Hope von Wolfgang Ponto auf Facebook. Als er las, dass die Oberschwabenklinik bereits 300 Krankenhausbetten an die Hilfsorganisation gespendet hatte, bot er kurzerhand die gesamte Praxiseinrichtung der Eltern an. „Um Gottes Willen war meine erste Reaktion. Ich war erschlagen vom Angebot“, erinnert sich Ponto. Zuerst sei er etwas skeptisch gewesen, was er mit einer kompletten Zahnarztpraxis anstellen solle. Doch dann vermittelte ihm der befreundete Chirurg Vasyl Savchyn aus der Ukraine den Kontakt zu einem Zahnarzt aus dem westukrainischen Lemberg. „Der junge Mann kann sich nun eine Existenz als Zahnarzt aufbauen“, erzählt Ponto. Im Gegenzug für die Praxiseinrichtung wird er an fünf Tagen im Monat Waisenkinder, kranke und sozial benachteiligte Kinder kostenlos behandeln. Dass seinem Verein eine gesamte Praxis gespendet wird, ist für Wolfgang Ponto wirklich nicht alltäglich. Seit zwei Jahren leitet er die Kinderhilfsorganisation. Angefangen hat er mit einer Packung Mullbinden für ein Krankenhaus. Mittlerweile hat er zusammen mit ehrenamtlichen Helfern in Wangen und Lemberg rund 120 Tonnen Hilfsgüter von Verbandsmaterial bis Krankenhausbetten in die Ukraine gebracht.
Wolfgang Ponto 30-mal vor Ort
30-mal war er in den vergangenen zwei Jahren vor Ort. Immer in der Freizeit und auf eigene Kosten. „Das erste Mal war ich eigentlich wegen eines Fußballspiels in der Ukraine. Bayern München gegen Donezk“, erzählt Ponto. Bei dieser Reise lernte er Familien mit schwerst verbrannten Kindern kennen. „Sie hatten keine Krankenversicherung und mussten jede Behandlung aus eigener Tasche zahlen: Kopf- und Mundschutz für die Ärzte, Medikamente und sterile Binden. Da ist mir erst klar geworden, wie gut wir es hier eigentlich haben.“ In den ukrainischen Karpaten werde noch oft mit offenem Feuer gekocht. Außerdem seien offenliegende Stromleitungen ein Problem. Darum würden sich besonders viele Kinder dort stark verbrennen. Mit Mullbinden für Verbrennungsopfer begann Ponto deswegen sein Engagement für ukrainische Kinderkrankenhäuser.
Mittlerweile hat sein Verein mehr als 50 Mitglieder und betreut fünf Krankenhäuser und neun verschiedene Projekte. Seit Kurzem auch ein mobiles Kinderhospiz, das Mütter besucht und ihnen unter anderem psychologische Hilfe und Beratung für die lebenserhaltenden Geräte ihrer Kinder anbietet.
Alles komplett funktionstüchtig
Doris und Siegfried Ziegler haben nicht lange gezögert, als sie Wolfgang Ponto und seine Organisation kennenlernten. Sein ganzes Berufsleben lang sei es ihm wichtig gewesen, Menschen zu helfen und stets die Geschichte der Patienten zu kennen, die bei ihm auf dem Behandlungsstuhl sitzen, erzählt Siegfried Ziegler. Darum sei es nur konsequent, die Einrichtung nach Aufgabe der Praxis für einen guten Zweck herzugeben. „Der Gedanke ist einfach schön, dass unsere Praxis weiterlebt“, sagt Doris Ziegler. „Jeden Tag haben mein Mann und ich mit den Gerätschaften gearbeitet. Es ist gut zu wissen, dass sie jemand anderes nochmal in die Hand nimmt. Und vor allem, dass Kindern damit geholfen wird.“ Die Möbel und Utnsilien seien alle noch komplett funktionsfähig. Sie hatten auch noch Kontakt zu einer Hilfsorganisation, die Zahnarztutensilien auf die Philippinen bringt, erzählt Siegfried Ziegler. Diese hätte allerdings nur die Instrumente abgenommen, nicht auch noch die Möbel.
Die Abwicklung der Praxisübergabe ging dann sehr schnell: Nur drei Wochen lagen zwischen dem ersten Anruf bei Hope und dem Wiederaufbau der Praxis in der Ukraine. Vier Helfer rückten an einem Wochenende mit zwei Bussen an. Nach nur einem halben Tag war die gesamte Praxis verladen. Nun steht sie bereits in der Ukraine. „Ich glaube am schwersten war der Empfangstisch wieder aufzubauen“, sagt Siegfried Ziegler und lacht. „Der war in so vielen Einzelteilen zerlegt, das war bestimmt kompliziert.“ Im kommenden Frühling wollen Doris und Siegfried Ziegler zusammen mit Wolfgang Ponto in die Ukraine reisen. Sie wollen den jungen Zahnarzt besuchen und schauen, wie ihre alte Praxis weiterlebt.
Die Kinderhilfsorganisation „Hope – we help children“ aus Wangen im Allgäu unterstützt Kinderkliniken in der Ukraine, die sich um verbrannte, krebskranke und lungenkranke Kinder kümmern.